Fachtagung Wernigerode 2016

Petra Karrasch                                                                                                                                Wenn Birken aus neuen Dächern wachsen

…dann läuft etwas gründlich schief. Die Tatsache, dass es leichter zu sein scheint für unsere Denkmale einmalig hohe Investitionssummen als später kleinste Reparaturbeträge zu mobilisieren, hat zum diesjährigen Tagungsthema provoziert. Am 26. Oktober 2015 lud der Verband der Kirchbauvereine von Sachsen-Anhalt VdKSA zu seiner jährlichen Fachtagung unter dem Titel “Erhaltenes erhalten“ nach Wernigerode ein. „Soforthilfe für kleines Geld“ hätte das dazugehörige Motto lauten können. Die Tagung ging der Frage nach, welche Expertise zur Schadenserkennung und Soforthilfe in den Kirchen vor Ort gebraucht wird, wie man diese Expertise bereitstellen kann und wie  zukünftig ein vernetztes Herangehen organisiert werden könnte.

Ein fachlich exzellent besetztes Podium diskutierte mit Verbandsmitgliedern sowie Gästen aus Sachsen-Anhalt, Berlin, Hessen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Zu den Gästen gehörten u. a. die Evangelische Landeskirche Mitteldeutschland, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, das Landesamt für Archäologie und Denkmalschutz Sachsen-Anhalt, die Stiftung Alte Kirchen Berlin-Brandenburg, der Verband Kirchen in Not Mecklenburg-Vorpommern, der Landesheimatbund von Sachsen-Anhalt, der europäische Verband Future for Religious Heritage und die Evangelische Akademie zu Wittenberg.

Die Bauexpertin der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands, Frau Bähre, formulierte zum Auftakt das zentrale Problem. In der EKM existieren mehr als 6.000 kircheneigene Gebäude und davon sind mehr als 4.000 Kirchen. Der Anteil der nicht mehr oder kaum noch genutzten Kirchen ist alarmierend. Die Zuständigkeiten und Verfahren der Bauwerksbegehung, Schadensanalyse und –bewertung seien in der Kirche jedoch eindeutig geregelt. In der Diskussion wurde indessen festgestellt, dass die Verfahren in den Kirchgemeinden bzw. bei den Kirchbauvereinen weitgehend unbekannt und daher auch nicht wirksam sind. Man brauche offensichtlich weitere, ergänzende und niedrigschwellige Verfahrensweisen zur Schadensfeststellung und –beseitigung.

In Sachsen-Anhalt müssen etwa 260.000 Gemeindeglieder mehr als 2.000 Kirchen erhalten. Kann das auf Dauer gelingen? Pflege und Erhaltung können nur dann gelingen, wenn die Kirchen gebraucht bzw. gut genutzt werden. Dass sich die EKM auf einen Lernweg begeben hat, wie man durch Nutzungserweiterungen und das Willkommen bürgerschaftlicher Initiativen in den Kirchen die sakralen Bauwerke erhalten kann, führte Probst Hackbeil aus Stendal aus. Hier wird Neuland betreten. Dafür braucht es neue Partnerschaften und jede Art der wechselseitigen Ermutigung. Entscheidend ist, dass es Initiativen vor Ort gibt, die ihre Kirche im Dorf mit Leben erfüllen. Und hoffnungsvoll stimmen auch Plattformen wie diese Fachtagung, bei der relevante Akteure und Multiplikatoren zusammen kommen.

Wie eine permanente, niedrigschwellige Überwachung des Bauzustandes von Kirchen gestaltet werden könnte, führte Frau Schöbel vom Denkmalhof Gernewitz aus. Der ist Träger der Thüringischen Bauwerksinspektion, die nach dem Modell des Monumentendienstes arbeitet. Damit gibt es sehr gute und kostengünstige Erfahrungen für sakrale und profane historische Bauwerke in Thüringen. Das Leistungsangebot aus jährlicher Bauwerksinspektion, Beratung, Fortbildung und Vermittlung von Fachbetrieben ließe sich auch auf andere Regionen übertragen. Jeder Denkmalseigentümer, der öffentliche Mittel zur Erhaltung seines Bauwerks erhält, sollte gesetzlich dazu verpflichtet werden eine jährliche Bauwerksinspektion durchzuführen, um Schäden zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zu erkennen und zu beseitigen. Darin waren sich viele Diskussionsteilnehmer einig, genauso einig wie in der Anregung, dass in Deutschland flächendeckend ein Monumentendienst geschaffen werden sollte.

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat, wie ihr Vertreter Herr Malsch ausführte, einen Leitfaden für den Bauunterhalt seiner eigenen Liegenschaften vorgelegt. Diese fachlich ausgezeichnete Handreichung könnte auch in den Kirchgemeinden genutzt werden. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz weiß um das Dilemma, dass nach „Großinvestitionen“ an Denkmalen das Engagement für die laufende Überwachung erlahmt und vielfach die Auffassung herrscht, jetzt habe man 30 oder gar 50 Jahre Ruhe. Nach drei Jahren könnten dann aber bereits Birken aus neuen Dächern wachsen, die nach 5 Jahren dort  immer noch gedeihen. Herr Amelung vom Verband Kirchen in Not in Mecklenburg-Vorpommern bestätigt das Dilemma und den längst überfälligen Handlungsbedarf. „Bei uns ist es 5 nach 12!“. Es müssen dringend Kümmerer vor Ort für die Schadensfrüherkennung gewonnen und unterwiesen werden. Viele Vertreter von Kirchbauvereinen gaben in der Diskussion jedoch zu bedenken, dass ein Kompendium für Bauingenieure geschrieben und drüber hinaus kostenintensiv ist, nicht den Anforderungen und Möglichkeiten vor Ort entspräche. Herr Dr. Otzen vom Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg regte an, den Kirchbauvereinen einen etwa 5 – seitigen  Leitfaden zur Verfügung zu stellen. Den sollten auch Frauen und Männer mit Küsterdiensten in den Dorfkirchen handhaben können i. S. von Betrachten, Feststellen, Ausfüllen und Weiterleiten. Herr Malsch konnte diese Anregung inzwischen in der Stiftung vortragen.

Es ist gute Sitte, im Teil 2 einer Fachtagungen des VdKSA auch ganz praktische Erfahrungen zu gewinnen. Diesmal standen Kirchenfenster im Mittelpunkt. Die Ausgangsüberlegung war, dass bei der Reinigung, Pflege und Erhaltung wertvoller Kirchenfenster vieles falsch gemacht werden kann. Über das Richtig und Falsch referierten anschaulich, sachkundig und mitreißend der Glasrestaurator Mosler aus Limburg und der Glasmacher Schneemelcher aus Quedlinburg.

Das Fazit der diesjährigen Fachtagung des VdKSA:

  • Jede Kirche braucht einen Hüter für das Bauwerk und seine wertvolle Ausstattung.
  • Der Hüter leistet einen unverzichtbaren Beitrag i. S. der Frühwarnung über Schäden im Anfangsstadium.
  • Jeder Hüter leistet eine „niedrigschwellige“ und „vorinstitutionelle“ Überwachung des Kirchbaus und seines Kunstguts. Eine Frühjahrs- und Herbstanalyse ist machbar.
  • Der Hüter erhält für seine Sichtung, Schadensfeststellung, -bewertung und den dazu gehörigen Meldeauftrag einen laientauglichen Leitfaden an die Hand.
  • Die Gemeindekirchenräte und Kirchbauvereine legen ein Verfahren über die Verarbeitung der Analyseergebnisse fest. Das ist im Sinne der Beseitigung von kleinen Schäden mit kleinem Geld.
  • Die Tagung hat ein großes Bedürfnis nach einer strategischen und fachlichen Vernetzung der Vereine, Verbände und Institutionen von der lokalen bis zur europäischen Ebene zutage gefördert. Dieses Tagungskonzept soll 2016 eine Fortsetzung finden.
  • Als wünschenswertes Thema für eine nächste Tagung hat das Plenum die Nutzungserweiterung von Kirchen formuliert.

Ein herzlicher Dank gilt der Johanniskirchgemeinde mit Pfarrerin Dr. Liebhold. In dieser Kirchgemeinde durfte der VDKSA diesmal mit seiner Fachtagung zu Gast sein. Ein beeindruckendes Gotteshaus und Kirchenareal: intakt und gepflegt, kreativ und kultiviert. Neue Fenster als Zukunftsprojekt. Hier wird vieles richtig gemacht. Wir kommen gerne wieder.